Am Sonntag, den 28. Januar 2018 verstarb der große Jazz-Gitarrist Coco Schumann. Seit 1997 hatte ich die Freude und das Privileg, für Auswahl und Produktion seiner Veröffentlichungen bei Trikont verantwortlich zu sein. Mit ihm ist nicht nur ein bedeutender Musiker und einer der letzten Überlebenden des Holocaust von uns gegangen, sondern auch ein humorvoller und warmherziger Freund.





Coco Schumann - 50 Years in Jazz. Nachruf von Kalle Laar

'Ich bin ein Musiker, der im KZ war und nicht umgekehrt'

Einige Sätze, die Coco Schumann im Gespräch fast nebenbei formuliert, könnten als Leitmotiv dienen, gewissermaßen als Einleitung in die Lebensgeschichte einer Jazzlegende - einer der nicht allzu bekannten, aber auch nicht allzu zahlreichen in Deutschland, auf die besondere Geschichte von Heinz Schumann, Sohn einer jüdischen Mutter und eines arischen Vaters, einer Geschichte, wie sie nur in Deutschland geschrieben werden konnte, einer Geschichte, die erzählt werden muss.

Coco Schumann wurde 1924 in Berlin geboren. Nach der Machtübernahme durch die Nazis musste er schnell lernen, dass er als Jude nicht mehr dazugehörte, und reagierte auf seine Weise: er lernte boxen. Wie viele andere jüdische oder teilweise jüdische Familien glaubten auch die Schumanns nicht an das drohende Unheil, und man versuchte so gut es eben ging, den sich verändernden Umständen anzupassen. Coco als frühreif zu bezeichnen wäre fast schon eine Untertreibung: er sah erheblich älter aus als er war und saß bereits als 12jähriger auf der Gartenmauer des legendären 'Delphi' und hörte das damalige Swingidol Teddy Stauffer. Schon da wußte er, dass dies seine Musik war.

1936 war das Jahr der Olympischen Spiele, und diese brachten noch einmal eine gewisse kulturelle Freiheit nach Berlin. Das Naziregime wollte sich weltoffen präsentieren und die sonst geächtete 'Niggermusik' war überall zu hören. Coco schloß sich der Swingjugend an, man hörte Schallplatten. Aber Coco wollte Musiker werden, brachte sich auf einer Wandergitarre die ersten Akkorde bei, und bekam von seinem Onkel ein Drum Set, als dieser Deutschland rechtzeitig verließ. Mit dem Schlagzeug ertrommelte er sich seine erste Gage: 5 Mark. Sein eigentliches Instrument aber war die Gitarre.

Mit seinem unnachahmlichen Gefühl für Rhythmus und Swing machte er sich schnell einen Namen, spielte in den verschiedensten Bands in Nachtclubs und Bars. Das war Ende der 30er und Anfang der 40er Jahre, und bedeutete ständige Gefahr. Gefahr, bei einer der zahlreichen Razzien verhaftet zu werden, denunziert zu werden oder einfach nur durch die falsche Musik aufzufallen. Swing und Jazz waren in dieser Zeit nach wie vor beliebt bei Musikern und einem großen Teil des Publikums. Und die Musiker erfanden ihre eigenen Strategien, mit dieser Situation fertigzuwerden. Wurde beispielsweise vor einer Razzia gewarnt, konnten die Musiker mühelos von einem Takt zum nächsten von einem Swingtitel zu Unverfänglicherem wechseln, vom 'Tiger Rag' zu 'Rosamunde' und wenn die Luft wieder rein war auch zurück.

Coco versuchte es mit Frechheit: er ging immer unbekümmert auf die Gefahr zu, und in seinem Buch berichtet er von zahlreichen haarsträubenden Geschichten. Doch gegen Denunziation half auch die beste Chuzpe nichts, Coco wurde verhaftet. Nur der verzweifelte Einsatz seines Vaters verhindert in buchstäblich letzter Minute seinen Abtransport nach Auschwitz, statt dessen kommt er nach Theresienstadt. Kaum zu glauben, aber auch hier gab es Swing. Theresienstadt wurde von den Naziverbrechern als eine Art Musterlager geführt, um die Weltöffentlichkeit über die wahre Bestimmung der Vernichtungslager zu täuschen. Und diese Rechnung ging auf, einer Delegation des Internationalen Roten Kreuzes, die das Lager 1944 besuchte, fiel nicht auf, dass die Insassen durchaus nicht freiwillig an diesem Bild mitarbeiteten. Natürlich hatten auch die Theresienstädter ihre Hoffnungen noch nicht aufgegeben, das Lager galt auch unter den Juden als nicht ganz so schlimm, zumindest von außen. Theresienstadt wurde dann auch noch als Kulisse gebraucht für den Propagandafilm 'Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet', bekannter unter dem zynischen Titel 'Der Führer schenkt den Juden eine Stadt'. Dieser Film wurde nie gezeigt, und es existieren nur noch Ausschnitte daraus.

Tatsächlich gab es in Theresienstadt ein reges kulturelles Leben zu dem auch die 'Ghetto Swingers' gehörten, gegründet von dem Amateurtrompeter Eric Vogel, dann geleitet von Martin Roman. Roman war der Pianist der 'Weintraub Syncopators', einer der einflussreichsten Bands im Deutschland der Vornazizeit. Den 'Ghetto Swingers' gehörten einige bedeutende Solisten an, z.B. der tschechische Klarinettist Bedrich (Fritz) Weiss, der später in Auschwitz ermordet wurde. Coco saß am Schlagzeug, kurz vor seiner Ankunft war der Drummer nach Auschwitz abtransportiert worden. Auf der CD 'Double' ist der Titel 'Bei mir bist Du schön' zu hören, gespielt eben von diesen 'Ghetto Swingers'. Vermutlich stammt diese Aufnahme, die einem die kalten Schauer über den Rücken jagt und hier zum ersten mal veröffentlicht wurde, aus dem erwähnten Film.

Das Ende der Dreharbeiten war für viele auch das Ende von Theresienstadt, für die meisten bedeutete es den Transport nach Auschwitz, auch für Coco Schumann. 'Die Musik hat mir das Leben gerettet' erzählt er, und nirgends trifft dieser Satz so zu wie hier. Hatte der Swing im Underground der Berliner Clubs noch sein Leben gefährdet, hier half er ihm beim Überleben. Auch hier gab es Bedarf an Unterhaltung, und so manche Lager- und Blockleiter konkurrierten um die beste Kapelle. Hier war es eher 'La Paloma' am Lagertor, gespielt beim Marsch zur Arbeit oder in den Tod. Coco Schumann war einer der wenigen, die dieses unvorstellbare Grauen überlebt haben.

Unvorstellbar auch scheint nach allem Erlebten die Rückkehr in die Normalität, die Rückkehr nach Berlin, zu alten Freunden und Musikerkollegen, die Rückkehr in den Alltag. Auch als Berichterstatter hat man Schwierigkeiten, diese Schwelle mit zu überschreiten, überzugehen zu Easy Listening und Nachtclubmusik. Bei Coco Schumann gab es so etwas wie eine Scham, er empfand sie für oder anstelle seiner deutschen Freunde. Natürlich mussten die Erlebnisse in den Konzentrationslagern auch zu einem gewissen Teil verdrängt werden, ein Weiterleben wäre sonst vielleicht unerträglich gewesen. Er erzählte mir einmal, dieses Gefühl zu haben, Freunde nicht belasten oder überfordern zu wollen, möglicherweise dadurch Beziehungen unmöglich zu machen. Coco Schumann hat über Theresienstadt und Auschwitz lange Jahre geschwiegen, erst seit Ende der 1980er Jahre redete er über diese Zeit, seit ihn der Journalist Paul Karalus davon überzeugte, dass er als einer der nicht mehr allzuvielen Zeitzeugen auch eine gewisse Verantwortung habe, gegen das Vergessen anzugehen.

Die Deutschen Städte waren meist nur noch Ruinen, aber es wurde wieder gespielt und getanzt zu Jazz und Swing, der Popmusik des Tages. Ungekrönter König des Swing der späten 1940er war Helmut Zacharias. Coco Schumann spielte in seinen diversen Bands und galt bald als einer der herausragenden Gitarristen Deutschlands und führte die ersten Polls an. Dazu verhalf ihm auch sein neuartiger Sound: Coco Schumann war der erste E-Gitarrist in Deutschland! Roger Roßmeisel, Sohn des legendären Gitarrenbaumeisters, baute ihm aus einem Wehrmachtskopfhörer einen Tonabnehmer, und den Verstärker dazu bastelte ihm der Bassist in Zacharias' Band. Bebop war das Neueste und Zacharias komponierte Helmys Bebop 1 bis 3, und insbesondere Nr. 3 gehört zu den besten Jazznummern, die je von einer deutschen Band aufgenommen wurde.

Auf dem Höhepunkt beschließt Coco plötzlich, Deutschland zu verlassen. Vielleicht wollte er doch den unheilvollen Erinnerungen entfliehen, die ihn mit diesem Land verbanden, jedenfalls machte er sich auf nach Australien. Auch dort spielte er Jazz und auch dieses Land verließ er wieder, als er gerade erfolgreich wurde. Zuvor spielte er aber eine der ersten Langspielplatten überhaupt ein, noch im 10'' Format, 'Rhythm Cocktail', 1952. Wunderbar entspannt, mit Vibraphon, Akkordeon, Bass und Schlagzeug, Easyswing at its best. Leider fand die Platte nie ihren Weg nach Europa, sie wurde auf 'Double' erstmals vorgestellt.

Bei seiner Rückkehr nach Berlin findet Coco Schumann eine veränderte Musikszene vor, an die er sich schnell anpasst. Jazz ist mehr oder weniger out, aber auch die neue Tanzmusik profitiert von Cocos Swinggefühl. Er spielt in Tanzsälen, Nachtclubs und Stripteasebars. Er arbeitet auch für diverse Radiosender, die auf seinen modernen Gitarrenklang aufmerksam werden. Diesmal pilgern ganze Gitarristenscharen zu seinen Auftritten, um einen Blick auf sein Instrument werfen zu können: Coco spielt eine 'Les Paul'. Diese Gitarre der amerikanischen Firma Gibson sollte Rockmusikgeschichte schreiben, damals war sie noch ein exotisches Instrument.

In den 60ern verlegte sich Coco Schumann stärker aufs Komponieren. Auf der Suche nach einem Hit produzierte er eine ganze Reihe von Stücken, die zwar dem Stil damaliger Trends folgen, aber eine eigene Handschrift tragen, im Rhythmusgefühl, in der Phrasierung oder im für damalige Verhältnisse manchmal experimentellen Umgang mit dem Gitarrenklang, so z.B. bei der wunderbaren Exoticanummer 'Exotique', die sogar vom Großmeister dieses Genres, Martin Denny, gecovert wurde.
Daneben laufen weiter Jamsessions in den diversen Berliner Clubs, geht Coco mit Willy Brandt auf Wahlkampftour oder hat einen Rock'n'Roll-Kurzauftritt in einem Heinz Erhard-Film.

Schließlich verschwindet Coco Schumann von der Berliner Szene, um auf Kreuzfahrtschiffen gutes Geld zu machen und die Welt zu sehen. Als er wieder sesshaft wird, zurück in Berlin, und nach einiger Zeit bei Tanzgalas und in Kasinos, beschließt er die Kommerzmusik aufzugeben um sich wieder ganz dem Jazz zu widmen und trat wieder regelmäßig in Berliner Jazzclubs auf, z.B. in der 'Ewigen Lampe'.

Hier in der 'Ewigen Lampe' habe ich Coco Schumann 1996 kennen gelernt, aus dieser Begegnung entstanden nicht nur mehrere CDs mit den ersten Veröffentlichungen seiner Musik in Deutschland, sondern auch eine lange Freundschaft. Ich schätze mich glücklich, diesen wunderbaren Menschen gekannt zu haben.

Coco Schumann hat die Musik nie streng kategorisiert und hatte auch mit eingängigeren Formen keine Probleme. So hat er die Geschichte der deutschen populären Musik begleitet. Dabei blieb er sich und seinem Publikum immer treu. Ob bei Jazzkonzerten oder Tanzgalas: die Musik stand immer im Vordergrund, das Gefühl für den Rhythmus und den Augenblick. Entscheidend dafür war sein besonderes Swinggefühl, jenes 'feeling', um das ihn auch heute noch so mancher Gitarrensportler beneidet. (aus dem Booklet zu 'Double')

 

Coco Schumann Diskografie

Double - 50 Years In Jazz. Doppel-CD, 1997, Trikont US-0238
Vom frühen Nachkriegsjazz über 60er Jahre Easy Listening und Exotica-Ausflüge zurück zum Swing

Now! Coco Schumann Quartett Live. CD, 1999, Trikont US-266
Eine Sternstunde mit dem damals 75-jährigen Coco at its best!

Rex Casino. Live 1955. CD & DVD, 2009, Trikont US-381
Beim Stöbern in Coco's Archiv fiel uns dieses Tonband in die Hände: ein Live-Mitschnitt aus dem Tanzcafé Rex Casino aus dem Jahre 1955, ein einmaliges Tondokument. Coco interessierte sich für jede neue Technik, also war er nicht nur einer der ersten mit einem mobilen Tonbandgerät, sondern auch mit einer Super-8 Kamera. Die DVD zeigt rare Filmaufnahmen aus seinem Archiv.

Coco On Vinyl - 90 Years In Jazz. LP, 2014, Trikont US-466
Das Geschenk von Trikont zum 90. Geburtstag: die erste Vinyl-LP von Coco Schumann

Alle Veröffentlichungen sind bei Trikont erschienen, der musikalischen Heimat von Coco Schumann, ausgewählt und produziert von Kalle Laar. Sie sind nach wie vor erhältlich.