... gelb, beunruhigt den Menschen, sticht, regt ihn auf und zeigt den Charakter der in der Farbe ausgedrückten Gewalt ... (Wassily Kandinsky).
Kaum jemand wird wohl zufällig in Berlin in die Schaperstraße geraten, trotz Ku'dammnähe keine Touristenzone, auch die Nachbarschaft der Akademie bringt keine Attraktivität. Und wenn, an dem kleinen Laden mit dem Schild gelbe MUSIK geht man in dieser Wohngegend schnell vorbei. Vielleicht ein kurzer Blick ins Schaufenster, aber auch dazu muß man näherkommen, vom Gehsteig abbiegen, ein paar Stufen hinunter.
Wer es so weit geschafft hat, wird schließlich auch eintreten wollen, durch die Tür, die üblicherweise klemmt, in den vergleichsweise winzigen Raum. Schon das Schaufenster macht deutlich, daß es sich hier um einen besonderen Ort handelt, einerseits Galerie, andererseits Schallplatten- (oder Tonträger-)laden, und diese Kombination weist hin auf die Auswahl, die man hier antrifft: weit abseits des kommerziellen Mainstream angesiedelte Musik, Schallplatten von bildenden Künstlern, CDs mit neuer Klassik, Elektronik, Geräuschmusik, Formen, die sich der üblichen Kategorisierungswut entziehen (Akustische Kunst...), aufregende, interessante und mitunter im besten Sinn verstörende und anregende Klänge.
In dieser Hinsicht hat die gelbe MUSIK nicht nur in Deutschland und Europa eine Sonderstellung. Es gibt Plattenläden, die eine größere Auswahl an Avantgarde und Klassik haben (z.B. Wave in Tokyo-Roppongi), im Hinblick auf neueren Jazz und Improvisationsmusik kompetent sind (früher Eastside jetzt Other Music in New York) oder Ambient und Techno mit unvermuteten Vorläufern in Zusammenhang bringen (a-musik in Köln). gelbe MUSIK behauptet ihren ganz eigenen Charakter, und dieser wird von offenen Ohren mittlerweile auf der ganzen Welt geschätzt.
Der Sound von Klangskulpturen (z.B. noch einige wenige Platten von Harry Bertoia), Stockhausen (auch noch ein paar Vinylscheiben), Schnittke, Duchamp, Die Tödliche Doris, eine Sprechplatte von Baselitz, Philip Corner, neue Hörspiele, seltene ethnische Musik, Panhuysen, Residents, musique concrète, eine endlose Liste interessanter, oft unbekannter aber durchweg hörenswerter Komponisten, Interpreten, Klangformer ..., und das mit Aufnahmen, von denen andere Geschäfte gar nicht wissen, daß es sie überhaupt gibt (z.B. zuletzt: Harry Partch, Historic Speech Music Recordings, 4CD-Box, außerdem ein Video zu Partch).
Verantwortlich für die durchaus subjektive Auswahl ist Ursula Block. Sie gründete gelbe MUSIK im Dezember 1981 in der früheren Galerie ihres Mannes René Block, der Künstler wie Joseph Beuys und John Cage vertrat, und stark in der Fluxusbewegung engagiert war. Für alle diese Künstler war der Klang ein wichtiges Ausdrucksmittel, und diese Verbindung von bildender Kunst und Musik findet sich nach wie vor sowohl in der Doppelnutzung der Räume als Laden und Galerie, wie auch als ein Schwerpunkt des Musikbestandes.
1982 ging Ursula Block mit der gelben MUSIK für hundert Tage auf die Dokumenta nach Kassel und erwarb sich auf diese Weise internationale Präsenz. Seither erscheint in unregelmäßigen Abständen ein Katalog, der neben Tonträgern auch Bücher und Partituren aufführt, und gelbe MUSIK überlebt nicht zuletzt durch mail-order Kunden aus aller Welt.
Bilder, Zeichnungen, Partituren fanden in zahlreichen Ausstellungen an den Wänden ihren Platz, der wichtigere Präsentationsort ist jedoch meist das Schaufenster, etwa für Nam Jun Paik's His Master's Choice, in dem der berühmte HMV-Hund diesmal aus Plastik sich selbst im Monitor betrachtet. Christian Marclay legte einmal den Boden mit Vinylscheiben aus, und John Cage präsentierte hier 1991 seinen Mozart Mix, fünf Kassettenrekorder und 25 Mozart-Kassetten mit Musik jeweils fünf verschiedener Gattungen und fünf unterschiedlicher Längen zur Zusammenstellung eines immer neuen Mixes, eine seiner letzten Arbeiten.
Ursula Block im Stereo Action Club - Berlin sonambiente2006 - hosted by djkl
Diese Auseinandersetzung mit visuellen Materialien zur Musik zeigte auch ein Ausstellung mit Künstlerplatten, zuerst 1986 in der gelben MUSIK, in den folgenden Jahren dann erweitert in der daadgalerie Berlin und in Museen in Frankreich, Australien, Kanada und Dänemark. Die bisher größte Ausstellung ihrer Art stellte die Schallplatte nicht nur als Tonträger, sondern als eigenständiges Kunstobjekt vor. Zu dieser Ausstellung mit dem Titel Broken Music erschien ein leider vergriffener hervorragender Katalog, der inzwischen zu einer Art Referenzhandbuch für ungewöhnliche Klänge geworden ist.
Nachtrag: Inzwischen (2015) ist die Galerie / der Ladengeschlossen. Die außergewöhnliche Sammlung wird als Archiv weiter gepflegt.